Das Lied der Sardelle
aus Happen, Winter 2012
Anchovis sind Sardellen, aber keine Sardinen. Als silbrig schimmernde Wolken schiessen sie in Schwärmen durch sämtliche Ozeane gemässigter und tropischer Breitengrade, bevor ihr spindelförmiger Körper gesalzen, in Öl eingelegt, auf dem Grill oder als Fischmehl im Tank einer Lachsfarm landet. Der Testesser hatte in diesem Sinne eine Begegnung der aussergewöhnlichen Art.
Anchovis sind Sardellen, aber keine Sardinen. Als silbrig schimmernde Wolken schiessen sie in Schwärmen durch sämtliche Ozeane gemässigter und tropischer Breitengrade, bevor ihr spindelförmiger Körper gesalzen, in Öl eingelegt, auf dem Grill oder als Fischmehl im Tank einer Lachsfarm landet. Der Testesser hatte in diesem Sinne eine Begegnung der aussergewöhnlichen Art.
Meine Anchovis nämlich kratzten im Munde aber nicht an meinem Gewissen. Dieser Zwangskonsum lächelte aus einer zu hundert Prozent wiederverwerteten Aluminium Büchse, in kaltgepresstem extra virgine Olivenöl eingelegt und mit zahlreichen Labels bekränzt, wie zum Beispiel dem Label "Bio Hellas". Wonach sie riechen: Nach Fisch, zu hundert Prozent, wie wenn der Geruch nach Fisch nicht mannigfaltig, sondern einförmig wäre. Nach Fischmarkt und Fischsuppe zusammen. So als ob dieser kleine, transluszente Reisende nicht viel grösser als ein Wassertropfen, die gesamten Gerüche des Meeres in sich trüge, wie eine stark parfümierte Dame fortgeschrittenen Alters, die sich im Bus zwinkernd auf den freien Stuhl nebenan setzt.
Wonach sie schmecken: Nach Fisch in seiner reinsten Form und noch tagelang unter sämtlichen Fingernägeln, als ob sich hier die teils kräftige Bezahnung der Fischchen bis tief unter die Haut gebissen hätte. Kein bisschen salzig und nicht zu vergleichen mit ihren kümmerlich gekrümmten Artgenossen, die auf der Pizza landen. Das Fleisch ist zart, wenn auch faserig. Die Haut zuweilen knackig-trocken und ständig vom Abblättern bedroht. Die Gräte, so fein wie Eiskristall, kitzelt höchstens auf der Zunge und im Gaumen. Das Köpfchen mit Knopfaugen lässt sich problemlos in einem Bissen und Gewissen mit knusprigem Brot und einer leichten Mayonnaise Vinaigrette verschlingen.So verschwanden ganze Leiber in meinem Bauch.
Sardellen sind immer noch keine Sardinen. Wem dies die Suppe nicht versalzt, kann Mund und Magen auf eine kulinarische Reise vorbereiten, die fernab touristischer Pfade einer Pizza Napoli führt und irgendwo weit draussen im tiefblauen Ozean eines Hamsi Kizartma endet. Bon appétit!